Warum die 4-Tage-Woche Quatsch ist

Nur noch vier Tage die Woche arbeiten? Wer wollte das nicht? Überraschung: Jede Menge Menschen! Spinnen die alle? Im Gegenteil – es gibt gute Gründe, weniger arbeiten zu wollen, aber es geht nicht um weniger Arbeit, sondern um mehr Freiheit und mehr bessere Arbeit.
Warum hört und liest man aktuell so viel von der 4-Tage-Woche? Weil sich fast alle, die darüber reden und viel fordern, auf meistens eine einzige Studie beziehen, die streng genommen keine ist.

Denn eigentlich verbirgt sich hinter dem Schlagwort „4 Day Week Global“ ein Projekt, eine schwammig titulierte „Not-for-Profit Community“ mit einer Art Studie, die das Projekt dann doch gewinnbringend bewerben soll nach dem Motto: „Wir stehen gern für weitergehende Beratung zur Verfügung“.

Studie? Welche Studie? 

Der eigentliche Sinn und Zweck der Studie wird deutlich, wenn man die Community digital besucht und noch vor den erhofften, mit Registrierungszwang versehenen Ergebnissen der Studie mit Trademarks gelockt wird („We advocate for the 100-80-100™ model“); man bekommt ein Buch angepriesen (Andrew Barnes: „The 4 Day Week“, für 35 Neuseeland-Dollar), und man stößt auf die „Participation Fees“ dieser Community (2000 EUR für ein Kleinstunternehmen, 20.000 EUR für einen Konzern). Bei Interesse an „more one on one consultancy: email us here”.

Wobei Consultancy das Stichwort ist: Die Gründer dieser Community wollen offenbar die 4-Tage-Woche vermarkten, und die „Studie“ dient als Sales-Support, was absolut legal und legitim ist. Aber betrachten wir die Studie doch einmal genauer, denn ihre Kernergebnisse imponieren wie vorgesehen seit Wochen die Medien, die Politik und die Gewerkschaften:

  • „78% of employees with 4 day weeks are happier and less stressed“
  • „63% of businesses found it easier to attract and retain talent with a 4 day week.“

Na bitte: Wer nur vier Tage arbeiten muss, ist glücklicher und weniger gestresst, und sein Arbeitgeber findet und bindet leichter Fachkräfte. Quod erat demonstrandum! Im Kinderkanal tritt regelmäßig „Checker Tobi“ auf („Checker Tobi beantwortet die Frage, woran man den Chef auf der Baustelle erkennt“). Was würde er zu diesen beeindruckenden Ergebnissen sagen?

Checker checkt

Laut Angaben von 4 Day Week Global nahmen 61 Unternehmen an der Befragung teil, mit 2.900 Mitarbeitenden – eine so große Menge suggeriert Repräsentativität. Bei näherem Hinschauen entpuppt sich die letztendliche Response Rate jedoch als 58 Prozent; also etwas mehr als 30 Unternehmen – das ist in absoluten Zahlen zwar weder besonders schlecht, noch besonders gut. Der mit Mitarbeiterbefragungen erfahrene Sozialforscher weiß jedoch, dass im Umkehrschluss 42% der Befragten meist einen guten – und für die Befragenden nicht so schmeichelhaften – Grund haben, gar nicht mehr mitzumachen. Das ist quasi Abstimmung mit den Füßen. Und das ist nicht der einzige Bias.

Der zweite ist ein „People Bias“: 62% teilnehmende Frauen, 37% Männer. Frauen – nicht nur in UK – favorisieren bekanntlich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit die 4-Tage-Woche deutlich stärker als Männer, was ihr gutes Recht ist (jedoch möglicherweise ebenfalls am eigentlichen Problem vorbeigeht: s.u.).

Der dritte Bias ist ein „Company Bias“: Ein Drittel der teilnehmenden Unternehmen hat weniger als 10 Mitarbeitende; nur 10% mehr als 100 Mitarbeiter. Das wiederum ist eine extreme Verzerrung der nach Fachkräften gierenden Unternehmensrealität. Der empirische Sozial- oder Marktforscher würde das euphemistisch eine „selektive Stichprobe“ nennen, der amüsierte Rezipient im Management wohl eher „voll dran vorbei!“. Wenn er denn in der „Studie“ überhaupt bis zu diesem Bias vordringt. Damit nicht genug.

Circa die Hälfte der Teilnehmer sind in den Bereichen Marketing, Dienstleistung und Non-Profit tätig. Das ist der finale „Work Bias“. Wo bleiben Industrie, Handel, produzierendes Gewerbe usw.? Wenn man hälftig Desk-Jockeys und Bürohengste befragt?

Alle zitieren im Moment diese eine Studie. Die Studie triggert alle New-Work- und Sozial-Propheten, ist aber wenig valide. Und es ist nicht nur eine Begleitstudie, eine Meinungsumfrage, sondern ein ambitioniertes Arbeits- und Sozialexperiment. Die Studie gibt vor, zu messen, was sie nicht messen kann (will?). Und das Projekt gibt vor, verändern zu können, was es nicht verändern kann. Also suchen wir uns eine bessere Studie.

Der wahre Grund: mehr Leben!

Es gibt tatsächlich mehrere Studien zum Thema. Eine wissenschaftlich deutlich seriösere kommt zum Beispiel vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung (2023). Ja, natürlich, wir wissen es alle: Die Stiftung gehört dem Deutschen Gewerkschaftsbund, weshalb wir ahnen, dass die Stiftung ganz sicher keine Studie anstellen wird, bei der herauskommt, dass manche Menschen gern arbeiten. Unsere Ahnung trügt nicht: 73% der Befragten der Hans-Böckler-Studie sind für die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Was auch sonst? Im Gegensatz zur oben zitierten Studie liefert diese zweite Studie jedoch stichhaltige Gründe für dieses Votum:

  • 97% der 4-Tage-Wöchler wollen nur noch vier Tage arbeiten, um mehr Zeit für sich selbst zu haben,
  • 89% wünschen mehr Zeit für die Familie,
  • 88% mehr Zeit für Aktivitäten wie Hobbys, Sport, aber auch Ehrenamt.

Hier endlich stellt sich der Aha-Effekt ein: Die 4-Tage-Wöchler wollen nicht wegen der Arbeit (mieser Chef, schlechter Lohn, schlimme Arbeitsbedingungen) weniger arbeiten, sondern wegen eines erfüllenden Lebens. Sie wollen grob gesagt nicht weniger arbeiten, sondern mehr leben – und das in ihrer Freizeit, nicht bei der Arbeit. Jetzt macht der 4-Tage-Wahn endlich Sinn! Und noch viel mehr, wenn man die 17% betrachtet.

Wer gern arbeitet, spinnt doch

Denn 17% der Befragten der Hans-Böckler-Studie tun was? Sie lehnen die 4-Tage-Woche ab. Sakrileg! Warum um Himmels willen wollen die länger als vier Tage arbeiten? Auch das sagt die Studie, was für ihre Seriosität spricht: 86% der 4-Tage-Ablehner geben an, dass sie Spaß bei der Arbeit haben. Nahezu unerhört! Diese Menschen finden ein erfüllendes Leben nicht nur im Privaten, sondern auch und gerade bei der Arbeit. Was stimmt mit denen nicht? Genau das, was uns zum eigentlichen Problem führt.

Das Argument, auf das sich die Apologeten der 4-Tage-Woche berufen und das dennoch keiner von ihnen offen und ehrlich nennt, ist so simpel wie entlarvend: Die moderne Arbeitswelt hat den Menschen sich selbst entfremdet. Sie hat sich gegen ihn verschworen, sodass er in Notwehr dazu gezwungen ist, dieser anstrengenden, sinnleeren Welt zu entfliehen. Indem er einen Tag weniger arbeitet. Das hört sich fast sogar schon logisch an – für Akademiker und Beratungsfirmen. Diskutiert man diese Logik mit dem Mann am Band und der Frau am Ladentresen (oder umgekehrt), demonstrieren diese eindrücklich, dass sie von der eigentlichen Arbeit mehr verstehen als die angeblich Intellektuellen.

So kommentierte eine mir bekannte leitende Angestellte mit Führungsverantwortung: „Wenn den Leuten in der Kantine das Essen nicht schmeckt, dann lass ich die nicht 4 Tage die Woche in die Eck-Kneipe zum Schnitzel flüchten. Dann sag ich: Schönen Gruß an die Küche, lieber Koch, mach das Essen schmackhafter! Dann wird der Teller leer gegessen und sogar ein Nachschlag geordert.“

Wenn Arbeit wirklich Mist ist, dann ist Mist von fünf auf vier Tage reduziert immer noch Mist. Bullshit-Jobs liegen im Auge des Betrachters, denn Bullshit-Jobs haben keinen ökonomischen Nutzen, und kein Arbeitgeber würde die freiwillig einrichten.

Wir brauchen nicht weniger, sondern bessere Arbeit

All diese Pseudo-Lösungen mit weniger Büro, mehr Homeoffice, weniger Präsenzzeit und weniger Arbeitstage pro Woche drücken sich vor dem eigentlichen Problem: dem seit Jahrzehnten fortschreitenden schleichenden Verlust der Zufriedenheit mit der eigentlichen Arbeit, dem Verlust von innerer Motivation, dem Verlust an Erfüllung im Job. Aber kann man dieses Problem durch weniger Arbeit lösen? Es geht nicht um die Menge an Arbeit, sondern um deren Qualität. Welche Qualität?
Glücklicherweise hat die Wissenschaft schon längst herausgefunden, was Traumjobs ausmacht. Unglücklicherweise haben die Autoren der anfangs zitierten Studie das nicht mitbekommen oder zugunsten ihres aufmerksamkeitsheischenden Marketing-Gags geflissentlich ignoriert.

Ein extrem pragmatisches Rezept für Traumjobs liefert zum Beispiel das Job Characteristics Model von Hackman und Oldham. Danach macht wirklich jede Arbeit Sinn und glücklich, sofern sie als Ganzes oder in wesentlichen Teilen fünf Voraussetzungen erfüllt:

  • Sie ist vielfältig und
  • bedeutsam,
  • kann von vorn bis hinten und
  • relativ autonom ausgeführt werden und
  • sie bietet

Was wir wirklich wollen

Was wir im Grunde unseres Herzens wollen und was auch jede seriöse Studie wie die von der Hans-Böckler-Stiftung nachweist, ist ganz simpel: nicht weniger Arbeit, sondern mehr Sinn, mehr Leben, mehr Erfüllung, mehr Freiheit, Selbstbestimmtheit und Variabilität im Job. Das beweist nicht nur das anekdotische Beispiel mit Johann, das belegen auch ordentlich angestellte Studien; zum Beispiel von der IKK unter Handwerkern (2022).

„Ich empfinde meinen Beruf als sinnhaft“ unterschreiben 92% der befragten Handwerker, jedoch lediglich 50% der Durchschnittsarbeitnehmer. Warum? Weil handwerkliche Berufe die Hackman&Oldham-Kriterien viel besser erfüllen als Durchschnittsberufe – was unmittelbar einleuchtet oder wie der Bumper-Sticker sagt: „Das Internet-Start-up für Plattform-Ökonomie kann halt keine Waschmaschine reparieren.“

Gerade die meisten Handwerker mit ihrem irren Überstundenkonto möchten partout nicht weniger arbeiten, weil das weniger Erfüllung bedeuten würde. Sinn aber liegt im Machen, nicht in der Mach-Verweigerung oder -Reduktion, was schon Albert Camus wusste, als er sagte: „Wir müssen uns Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen.“ Warum? Weil Sisyphus wie kein zweiter macht. Endlos (er wälzt bis in alle Ewigkeiten einen schweren Stein einen steilen Berg hoch). Was alle Philosophen, Dichter, Denker und Psychologen seit Sisyphus‘ Zeiten wissen:

Nur Machen macht Sinn

Wenn ein Job Sinn macht, dann muss ich, dann will ich ihn nicht reduzieren, dann sehe ich den Job bzw. die Götter (also Chefs) nicht als Strafe an. Das ist die existenzialistische Sicht auf Arbeit: Wir müssen uns Sisyphus als Athleten vorstellen, der fähig und wirkmächtig einen Stein bewegen kann, ja bewegen will, Zentimeter für Zentimeter, so wie Bergsteiger Schritt für Schritt scheinbar sinnlos Berge auf- und absteigen, aber in dieser (Grenz-)Erfahrung sich als absolut selbstwirksam erleben, ganz ohne verordneten Purpose.

Genau das reflektieren die 4-Tage-Apostel nicht. Weil sie es aus ideologischen Gründen nicht wissen wollen. Die Arbeitnehmenden Fans der 4-Tage-Woche wissen es vielleicht nicht besser, versuchen nicht, den aktuellen Bullshit-Job ganz intuitiv anhand der fünf Hackman/Oldham-Kriterien umzugestalten – denn auch das geht und wird täglich praktiziert (ein anderes Thema, ein weites Feld). Vom Handwerker, Arzt, Landwirt, Tiefpfleger, dem Mann an der Werkbank und der Frau im Ladengeschäft (oder auch umgekehrt).

Denn wie diese wissen: Was nicht passt, wird passend gemacht. Und nicht auf vier Tage verkürzt. Denn dann passt es immer noch nicht, weshalb – jede Wette – spätestens nächsten Monat eine neue „Studie“ auftaucht, die dann was fordern wird? Richtig geraten. Die 3-Tage-Woche. Dazu hat mir übrigens eine HR-Managerin einen Witz erzählt. Der Betriebsrat baut sich vor der versammelten Belegschaft auf und verkündet stolz: „Nach langen und harten Verhandlungen mit der Betriebsleitung konnten wir vereinbaren, dass wir ab 1.1. nächsten Jahres die Arbeitszeit entscheidend reduzieren und dann nur noch dienstags arbeiten müssen.“ Zu seiner Überraschung: Totenstille. Kein Applaus. Aus der hintersten Reihe ruft einer: „Was denn? Etwa jeden Dienstag?“

Quelle: Xing