Die Personalabteilungen machen in vielen Unternehmen einen tollen Job. Sie leiden jedoch unter einem strukturellen Problem: Die Personaler sind von den Business-Einheiten abgekoppelt – und das rächt sich bitter.

Allerorten besteht die Forderung, die Human-Resources-Abteilung müsse am Tisch des Top-Managements sitzen. Gleichzeitig drängt sich mir der Eindruck auf, dass HR zunehmend am Kindertisch sitzt.

Die Personaler sind in vielen (nicht allen!) Unternehmen förmlich abgehängt von dem, um was es im Unternehmen wirklich geht. Ich würde sogar wagen zu behaupten, dass es in vielen Fällen die Personalabteilung selbst ist, die sich abhängt.

Paradiesische Zustände

Dabei sind die aktuellen Voraussetzungen für HR paradiesisch: Nie war es offensichtlicher, wie sehr Personalarbeit gebraucht werden.
So herrscht in Deutschland nicht nur ein Fachkräfte-, sondern ein allgemeiner Arbeitskräftemangel. Alle wollen gute Leute und kaum einer kriegt sie. Zudem kommt keine Firma mehr an dieser ominösen „neuen Arbeitswelt“ vorbei. Die Unternehmen müssen kluge Antworten parat haben auf Fragen wie „Wie funktioniert bei euch Remote Work?“ oder „Was für Angebote für Eltern habt ihr?“.

Und der kollektive Ruf nach mehr Führungskompetenz spielt HR genauso in die Karten wie der Mythos der unterschiedlichen Ansprüche der Generationen X, Y oder Z.  Ach ja, humaner, inklusiver und diverser soll jede Firma auch werden.

Wer würde angesichts dieser Herausforderungen wagen, die Bedeutung der Personalabteilung im Unternehmen infrage stellen?

Ich sage ja: Theoretisch herrschen für HR paradiesische Zeiten. Und Heerscharen von gut ausgebildeten und engagierten HR-Mitarbeitern geben ihr Bestes, um all diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Nur zu häufig leider vergeblich. Schuld sind aber nicht die Leute, sondern ein tayloristischer Reflex.

Funktional entkoppelt

Seit Beginn des Industriezeitalters werden Funktionen, die als relevant identifiziert werden, in eine eigene Abteilung überführt, also funktional von den wertschöpfenden Einheiten entkoppelt.

Das können Sie am Beispiel des Themas „Qualität“ sehr schön nachverfolgen: Vor den 1960er-Jahren war Qualität meist ein integriertes Merkmal der Wertschöpfung. Dann erkannten die Unternehmen: „Um dieses Thema müssen wir uns kümmern, mit Qualität können wir uns differenzieren vom Wettbewerb“ und eröffneten eigene Abteilungen dafür. Dasselbe gilt für Themen wie Finanzen, Datenschutz, Umwelt, Gleichstellung etc.

Diese funktionale Teilung ist ein tayloristischer Reflex gemäß des Grundprinzips:  Gleichartige Tätigkeiten sind zu bündeln, um sie möglichst effizient (nicht zwingend effektiv!) zu erledigen.

Allerdings entsteht in den so erschaffenen Abteilungen von Anfang an ein Rechtfertigungsdruck. Manchmal müssen, meist wollen sie beweisen, dass sie das Geld wert sind, das sie kosten. Daher entwickeln sie ein gewisses Eigenleben: Sie tun Dinge nicht mehr nur, um dem Unternehmen beziehungsweise der Wertschöpfung zu dienen, sondern auch, um ihre Unabdingbarkeit für alle sichtbar zu machen.

Bei HR passiert das in besonderem Maße.

Wir sind anders!

Die Ansprüche an HR sind in den letzten 20, 30 Jahren dramatisch gewachsen. Entsprechend sind die Abteilungen gewachsen und rechtfertigen ihre Größe mit dem Umfang und der Bedeutung ihrer Aufgaben – die sind ja so anders als die Themen, die die anderen Bereiche im Unternehmen haben.

Doch bei genauem Hinsehen sind bis auf die rein administrativen Aufgaben die meisten dieser HR-Themen im Inneren stark mit der Wertschöpfung verwoben. So wird Recruiting gemacht, um mit mehr Mitarbeitern mehr Wertschöpfung zu erzielen. Und Führungskräfteentwicklung, damit die Wertschöpfung besser funktioniert. Selbst die Frage, wer wo wann arbeitet, spielt stark in die Wertschöpfung hinein.

Wertschöpfung ist verdammt komplex geworden: Die Formen der Zusammenarbeit sind vielfältiger geworden, die Abhängigkeiten auch, das Maß an Überraschungen aus dem Markt größer, die Geschwindigkeit, in der ein Unternehmen Ideen generieren muss, etc.

Für diese Komplexität ein Gefühl zu entwickeln, ist anspruchsvoll und aufwendig. Und je weiter weg HR von der Wertschöpfung sitzt, umso anspruchsvoller wird es – und gleichzeitig umso weniger offensichtlich, dass diese Kenntnisse nötig sind, um die Bedürfnisse der Business-Einheit wirklich zu verstehen.

Wie gesagt: Das liegt nicht an den HR-Mitarbeitern, die sind gut. Das Konstrukt der funktionalen Teilung ist im Umfeld komplexer Wertschöpfung das falsche.

Dabei ließe sich das Problem auf verschiedene Weise lösen. Sie können die asymmetrische Schnittstelle symmetrisieren, indem Sie zum Beispiel die Business-Bereiche komplexe Teilaufgaben selbst übernehmen lassen. Oder einzelne HR-Mitarbeiter gehen in die Business-Einheit – nicht als Entsandte wie seit Ende der 1990er-Jahre die HR-Business-Partner, sondern als fest integrierter Bestandteil ohne separate Ziele.

Lösungen gibt es, doch muss die Ursache des Problems erst einmal in den Köpfen ankommen. Der Schmerz ist schon da: Die Abgehängten schreien richtiggehend um Hilfe, weil niemand im Unternehmen ihre tolle Arbeit schätzt.

Quelle: www.capital.de